Spielwiese#ausden90ern: Weihnacht - Spielwiese

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Roman Vilgut

Journalist & Blogger

#ausden90ern: Weihnacht

Nun kommt sie wieder, die Zeit der Besinnung, die Zeit der Freude, die Zeit des Stresses, die Zeit der Hektik und die Zeit des Zorns.

Wieder einmal bist du ausgesandt worden von deiner Frau, um noch mehr Geschenke für die Kinder und einen Weihnachtsbaum zu kaufen. In der Stadt tummeln sich Tausende, die den selben Auftrag haben. Du kämpfst dich durch zum Glühweinstand und trinkst erst einmal einen Glühwein.

Auf in den Kampf, ab zum Spielzeugladen, um wieder irgendwelchen Schrott zu kaufen, der in einem halben Jahr sowieso wieder kaputt ist. Vollgepackt mit Spielzeug verlässt du das Geschäft, du hast die Schlacht verloren. Ab zum Glühweinstand. Du trinkst zwei Glühwein.

Der Baum: Du stellst dich beim selben Bauern an, wie vergangenes Jahr. Den Baum hast du vorbestellt. Du bringst alles zum Auto und dann gehst du zurück zum Glühweinstand. Drei Glühweine sollen beim Geschenk für deine Frau helfen. Schnell findest du etwas Schönes und bringst es zum Auto.

Es ist noch etwas Zeit, um noch einmal beim Glühweinstand vorbeizuschauen. Nach zwei Stunden gehst du zum Auto und fährst nach Hause. Am Weihnachtsabend kontrolliert die Polizei sowieso nicht.

Zu Hause angekommen triffst du deinen Bruder. Ihr feiert jedes Jahr zusammen, samt Familie, versteht sich. Auch er war in der Stadt – allerdings bei einem anderen Glühweinstand, der angeblich den besseren Wein hat. Ihr bringt die Sachen ins Haus. Die Kinder rennen euch entgegen: „Was ist da drinnen? Was, Papi, sag´s mir.“ Mit Geschichten und Ausreden wimmelt ihr die Kleinen ab – und mithilfe eurer Frauen, die die Kinder zum Christbaumschmücken rufen. Dann versteckt ihr die Geschenke.

Dann brauchst du erst mal ein Bier, bevor der Wein für das Essen ausgesucht wird. Zwei Flaschen bleiben leer zurück. Der Baum wurde inzwischen geschmückt und die Geschenke liegen bereits darunter. Ihr legt die Päckchen für eure Frauen dazu und beginnt den Tisch zu decken – moderne Männer helfen im Haushalt mit.

In der Küche kochen eure Frauen das Festmal. Nachdem ihr gekostet habt, bemerkt ihr, der Wein, den ihr ausgewählt habt, passt nicht. Ihr entscheidet euch nach viel Verkostungen für einen anderen Wein.

Das Essen ist fertig, da kommen die kleinen Biester, mit Tränen in den Augen: „Mami hat gesagt, wir dürfen die Geschenke erst nach dem Essen aufmachen. Kannst du nicht mir ihr reden? Papi, bitte, bitte!“ Vom Flehen aufgeweicht, gehst zu deiner Frau, um ihr vorzuschlagen, die Bescherung vor dem Essen zu machen. Wie jedes Jahr gibt es Streit um die richtige Erziehung der Kinder.

Am Ende sagst du deinen Kindern, dass Mami recht hat und sie ziehen beleidigt ab. Du wirfst deiner Frau vor, grausam zu sein und unter Geschrei wird das Essen aufgetragen. Während des heiligen Mals wird wieder über Erziehung diskutiert. Zwei Stunden und fünf Flaschen Wein später vertragt ihr euch aber wieder. Nun werden die Geschenke geöffnet und Bussis verteilt. Danach gehen die Kinder auf ihre Zimmer, um das neue Spielzeug auszuprobieren. Zusammen mit deinem Bruder holst du noch ein paar Flaschen aus dem Weinkeller und mit euren Frauen trinkt ihr fröhlich weiter. Wie jedes Jahr erzählt ihr von den alten Zeiten.

Am nächsten Morgen wachst du auf. Du weißt nicht mehr, wie du ins Bett gekommen bist, noch wann, geschweige denn welcher Tag gerade ist. Du fragst deine Frau leise: „Schatzi, der Wievielte ist heute?“ Sie richtet sich stöhnend auf, blickt dich einige Zeit an und sagt: „Du, Mausi, ich hab keine Ahnung.“

Das Frohe Fest ist vorüber.

 

Diese Weihnachtsgeschichte habe ich am 24. Dezember 1996 geschrieben. Wie viel Glühwein ich getrunken hatte, weiß ich heute nicht mehr.